Die „Landfahrerzentrale“ im BLKA

Mitarbeiterin arbeitet Kapitel der Nachkriegsgeschichte auf – Amtsleitung will Lehren aus Erkenntnissen ziehen

von links nach rechts: BLKA-Präsident Harald Pickert, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, Dr. Eveline Diener vom BLKA und der Vorsitzende des Verbands Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Bayern, Erich Schneeberger Quelle: Bayerisches Landeskriminalamt
von links nach rechts: BLKA-Präsident Harald Pickert, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, Dr. Eveline Diener vom BLKA und der Vorsitzende des Verbands Deutscher Sinti und Roma – Landesverband Bayern, Erich Schneeberger
Quelle: Bayerisches Landeskriminalamt

MÜNCHEN. Im Jubiläumsjahr der Gründung des Bayerischen Landeskriminalamts (BLKA) vor 75 Jahren schaut die Behörde auch auf ein bislang wenig beleuchtetes Kapitel ihrer Geschichte. Kriminalhauptkommissarin Eveline Diener hat sich in den vergangenen sieben Jahren parallel zu ihrem Job bei der Prävention des BLKA im Rahmen einer Promotion an der FernUniversität Hagen (NRW) mit der sogenannten Landfahrerzentrale auseinandergesetzt. Die Dissertation ist kürzlich publiziert und am Dienstag, 14.12.2021, in München der Öffentlichkeit vorgestellt worden.

Worum es genau geht: Kurz nach der Gründung des Landeserkennungsamts, wie das BLKA zu Beginn hieß, am 11. Mai 1946 wurde bei der Behörde die sogenannte Landfahrerzentrale aufgebaut. Dort wurden unter anderem Menschen unter der diffamierenden Fremdbezeichnung „Zigeuner“ zentral erfasst – ein Begriff, der von den meisten Angehörigen der Sinti und Roma als diskriminierend abgelehnt wird.
Bis heute ist Antiziganismus in Teilen der Gesellschaft verbreitet. In der historischen Betrachtung muss die Arbeit der „Landfahrerzentrale“ nach dem Zweiten Weltkrieg daher kritisch betrachtet werden. Dieser Aufgabe nahm sich Eveline Diener an. Sie sichtete unzählige Akten, Bücher und andere Dokumente. Dabei arbeitete sie heraus, dass Bayern vom Kaiserreich bis zur Weimarer Republik eine Vorreiterrolle im Vorgehen gegen Sinti und Roma einnahm. Dies bestand im jungen BLKA und generell im Bayern der Nachkriegszeit fort, was sich unter anderem in Personal und organisatorischen Entwicklungen manifestierte. Im Jahr 1965 wurde diese spezielle Stelle des BLKA abgeschafft.

Die Amtsleitung des BLKA unterstützte Eveline Dieners Forschungen ausdrücklich. „Es ist wichtig, dass wir uns kritisch mit unserer eigenen Geschichte und unserer Rolle in der Nachkriegszeit auseinandersetzen“, sagte BLKA-Präsident Harald Pickert. „Wir wollen Lehren aus den Erkenntnissen ziehen. So loten wir aktuell Möglichkeiten aus, junge Beamtinnen und Beamte bei der Bayerischen Polizei schon in der Ausbildung noch stärker dafür zu sensibilisieren, welchen Verletzungen Sinti und Roma in der Vergangenheit ausgesetzt waren, und ihnen die eigene Verantwortung dafür
aufzuzeigen, dass sich so etwas nicht wiederholen kann.“


Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, lobt die Forschungsarbeit von Eveline Diener und das BLKA dafür, dass es sich diesem Teil seiner Geschichte stellt: „Eveline Diener hat in ihrer Arbeit eine Vielzahl an Quellen, die der Forschung bisher in weiten Teilen unzugänglich waren, erschlossen, durchgearbeitet und analysiert. Sie kann damit den bisher äußerst lückenhaften Kenntnisstand zur frühen Bayerischen ‚Landfahrerstelle‘ enorm erweitern und empirisch unterfüttern. Das BLKA hat mit dieser Arbeit die Forderung des Zentralrats an die Polizeibehörden der Länder umgesetzt und begonnen, ihre Geschichte in den Gründungsjahren der Bundesrepublik Deutschland aufzuarbeiten. Da mit der Auflösung der ,Landfahrerstelle‘ im Jahr 1965 die rassistische Sondererfassung von Sinti und Roma auch nicht im BLKA geendet hat, kann die heute vorgestellte Arbeit nur ein Anfang sein. Aus unserer Sicht muss es nun auch eine weiterführende Untersuchung der Kontinuität nach 1965 durch unabhängige Historiker folgen.“

Eveline Dieners Dissertation trägt den Titel „Das Bayerische Landeskriminalamt und seine ‚Zigeunerpolizeistelle‘, dann ‚Landfahrerzentrale‘ und schließlich ‚Nachrichtensammel- und Auskunftsstelle über Landfahrer (1946 bis 1965):
Kontinuitäten und Diskontinuitäten der bayerischen ‚Zigeuner‘- bzw. ‚Landfahrerermittlung‘ im 20. Jahrhundert.“ Eingereicht wurde sie bei Prof. Dr. Wolfgang Kruse im Promotionsfach Geschichte der Europäischen Moderne an der
FernUniversität Hagen. Die Arbeit erscheint im Verlag der Deutschen Gesellschaft für Polizeigeschichte.

Bericht: Bayerisches Landeskriminalamt